
Früher gab es Generäle mit der größten Armee, herum pöbelnden Adel, protzende Großindustrielle oder wenigstens korrupte Politiker. Man wusste ganz einfach, wer wirklich wichtig war, wer an den Hebeln der Macht saß, ob er sie nun zu bedienen wusste oder nicht. Heute ist das völlig anders. Wer heute etwas gelten will hat ein Emailpostfach, das kurz vor dem Bersten steht.
Legt man dieses zuverlässige Kriterium an, dann dürfte ich, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, trotz jeder Menge Spamnachrichten, die mein Emailkonto auffetten, so ziemlich der unwichtigste Mensch der Welt sein. Auch das ist ein Indikator dafür, dass diese Bewertungsmethode zuverlässig ist, deckt sich das Ergebnis doch hervorragend mit meiner Alltagserfahrung. Gibt es Krieg oder nicht, wie rettet man die Umwelt, das Klima, die Weltwirtschaft, wie konsolidiert man das Staatsbudget, wie hoch sollten Geschwindigkeitsbegrenzungen sein, wer geht mit dem Hund raus. Nie werde ich gefragt! Nicht mal bei den bereits erwähnten Spammails werde ich gefragt, ob ich die überhaupt haben will. Obwohl, in manchen von denen werde ich zumindest höflich darum gebeten, meine Bankdaten bekannt zu geben.
Beim morgendlichen Kaffee im Büro werde ich mittlerweile nur noch milde belächelt. Dort werden immer die aktuellen Email-Hitlisten, selbstverständlich spambereinigt, zum Besten gegeben. Man klopft sich kollegial auf die Schulter, feiert neue Rekorde, und manchmal geht ein anerkennendes Raunen durch die Menge, wenn jemand einen Screenshot seines Posteingangs vorweisen kann, auf dem zwischen den beiden Klammern eine vierstellige Zahl zu lesen ist. „Alles nur von heute Vormittag“, wird dann gerne dazu kommentiert. Für mich fällt meistens nur ein süffisant mitleidiges „Na, wieder drei Spams und die Einkaufsliste Deiner Frau?“ ab. Um ehrlich zu sein, wäre ich oftmals schon froh, wenn eine solche Liste meiner Frau dabei wäre.
Daher beschloss ich vor einigen Wochen dramatische Änderungen vor zu nehmen, die Welt zu erobern, den Emailolymp zu erklimmen. Ich registrierte mich bei sämtlichen sozialen Netzwerken, Foren und Fanseiten, meldete mich zu allen Newslettern an, die ich finden konnte und informierte die Autoren der Spammails, dass meine Bankverbindung im Austausch gegen regelmäßige, „saubere“ Emails zur Verfügung stehe. Alles in allem taten sich acht- bis neuntausend potenzielle Quellen auf, wobei ich hoffte wenigstens ein Drittel dazu bewegen zu können, in Zukunft Mails rauszurücken.
Als nach drei Tagen in meinem Postfach die übliche gähnende Leere herrschte, war ich völlig verzweifelt. Offenbar konnte ich nicht einmal durch Bezahlung die Frequenz auf meinem Emailkonto erhöhen und so meinen sozialen Status verbessern. Mein letzter Ausweg bestand schließlich darin, dass ich mir selbst Emails schrieb und diese auch beantwortete. Am ersten Tag brachte ich es immerhin auf beachtliche 200 Posteingänge, und man begann mir beim Morgenkaffee deutlich mehr Beachtung beizumessen. Doch schon zwei Tage später hatte ich mir nichts mehr zu sagen, und meine Emailquote sackte wieder dramatisch ab.
Am Wochenende hatte ich unvorstellbare Angst davor, am Montag im Büro bekannt geben zu müssen, dass meine elektronische Korrespondenz mit mir selbst leider ein jähes Ende genommen hatte und auch alle meine anderen Bemühungen fruchtlos geblieben waren. Gesenkten Hauptes setzte ich mich deshalb Montag früh vor den Bildschirm und öffnete mein Mailprogramm. Ich traute meinen Augen nicht: 13.587 unbeantwortete Mails. Rechnete man den Spam ab, blieben sogar noch 10.221 übrig. Unglaublich, ich hatte als erster eine fünfstellige Zahl neben dem Posteingang stehen! Unter den Mails waren viele Newsletter, die meisten doppelt, weil ich mich unter mehreren Namen registriert hatte, hunderte Anfragen aus sozialen Netzwerken und Foren und auch einige Drohungen von den Rechtsanwälten der Spamautoren, dass ich solche illegalen Kontaktaufnahmen in Zukunft unterlassen solle.
Sofort machte ich mich auf den Weg zur Kaffeeküche, bewaffnet mit dem Screenshot meines Bildschirms. Kaum hatte ich den Gang betreten, kamen mir aber zwei breitschultrige Herren in dunklen Anzügen, Sonnenbrillen, Funkempfängern im Ohr und äußerst echt aussehenden CIA Ausweisen entgegen. Man erklärte mir, dass ich mich auf diversen Internetseiten mit scheinbar fragwürdigem Inhalt herumgetrieben hätte, die schon lange unter Beobachtung stünden. Natürlich beteuerte ich, dass ich mir keiner Schuld bewusst sei und die Sache rasch aufklären könne. Sofort zeigte ich den beiden Agenten meinen Screenshot und begann zu erzählen, wie wichtig ein voller Posteingang heute nun mal war, um ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein.
Die Männer nahmen den Ausdruck und sahen sich kurz an. Dann murmelte einer der beiden etwas in seinen Sakkoärmel. Der andere hielt sich die rechte Hand ans Ohr. Es schien, als würde er eine Anweisung empfangen. Keine zwei Sekunden später entschuldigten sich die beiden dafür, mich behelligt zu haben. Sie hätten mich nicht sofort erkannt und wären untröstlich. Außerdem würde mich der amerikanische Präsident gerne nach Camp David einladen und bei einem Essen darüber reden, ob ich nicht sein Berater werden wolle. Man könne eben nicht genug einflussreiche Menschen um sich haben.
Seit dem hat sich mein Status in der Firma deutlich verbessert und man sieht zu mir auf. Ich habe sogar gelernt, mit den vielen Emails umzugehen. Nur der amerikanische Präsident nervt manchmal und spammt mich zu. Trotzdem, am meisten freue ich mich noch immer, wenn meine Frau wirklich etwas zu kaufen vergessen hat.
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Lieber Maximus,
wo bleiben nur die Kommentare zu dieser köstlichen Geschichte?? Anscheinend gibt es doch solche, die Angst vorm „schwarzen Mann“, oder besser gesagt von zwei solchen „Wächter-Gestalten“ haben. Dabei waren sie doch sehr verständnisvoll und ausgesprochen höflich. Naja, wird schon noch jemand über den „Schatten der Angst“ springen, hoffe ich. Du hättest Dir das wirklich verdient!
Was mich anlangt, ich bin glücklich über Emails von meiner Familie, und echte geschäftliche Anfragen erfreuen mich natürlich auch. Ansonsten wandern Emails von Unbekannten automatisch in den Papierkorb und werden ungelesen gelöscht.
Die Menge der Emails macht es nämlich nicht, sondern das, was privat und geschäftlich wirklich wichtig ist. Das sollten auch Deine Kollegen bedenken!