
Natürlich, die Politikverdrossenheit nimmt munter zu. Sicher, die Glaubwürdigkeit der einzelnen Akteure kann sich durchaus mit jener des netten Freiherren aus dem Kurfürstentum Braunschweig, Herrn Baron Münchhausen, messen. Selbstverständlich bemüht man die Worte Schilda, Kasperl, Bodensatz oder auch Pfui, um ansatzweise treffende Vergleiche zu erzielen. Aber dennoch, in den richtigen Situationen, kann einem die Rhetorik unserer Politiker zum eigenen Vorteil gereichen.
Es geschah vor etwa einer Woche. Meine Frau und ich hatten Opernkarten. Meine Frau zusätzlich noch Schwierigkeiten mit ihrem Outfit. So nutzte ich die dieserart entstehende vierzigminütige Verspätung zu zwei Beruhigungsschnäpsen. Um die verlorene Zeit wieder aufzuholen, betrachtete ich auf der nachfolgenden Fahrt über die Autobahn die Geschwindigkeitsbegrenzungen als sanfte Empfehlung, und Fahrer die vor uns auf der linken Spur unterwegs waren, machte ich freundlich darauf aufmerksam, dass wir es ein klein wenig eiliger hatten als sie. Meine Frau war in der Zwischenzeit damit beschäftigt, die Reservierung unserer Karten online zu verlängern. Der Versand dieser lebenswichtigen Email ging auf Kosten ihres Sicherheitsgurtes. Kurz nach der Abfahrt entschied ich, dass das Stoppschild an der Kreuzung einen zu drastischen Einschnitt in unseren knappen Zeitplan verlangte. Danach musste ich dringend unseren Freund Andi anrufen, um ihm mitzuteilen, dass wir ziemlich pünktlich kommen würden und er nicht auf uns warten solle.
Noch während ich sprach, konnte ich im Rückspiegel das hektische Blaulicht der Zivilstreife erkennen, die hinter uns fuhr. Der aufgebracht wirkende Polizist deutete mir mit dem linken Arm, dass ich an den Rand fahren und stehenbleiben solle. Ich beendete das Telefonat und blieb kaum einen Kilometer später an einer breiten Straßenstelle stehen. Zu meinem Erstaunen hatte sich der Ärger des Polizisten bis dorthin nicht wieder gelegt, er schien sogar noch wütender geworden zu sein.
Tief Luft holend, wartete ich, bis er und seine auffällig unansehnliche Kollegin unser Auto erreicht hatten und ließ das Fenster herunter: „Wunderschönen guten Abend, verehrter Chefinspektor! Was kann ich für Sie tun?“
Der Polizist blickte mich grimmig, aber zumindest verdutzt an: „Führerschein, Zulassung. Fahrzeugkontrolle.“
Ich reichte ihm beides und fügte hinzu: „Vielen Dank, dass Sie für die nötige Transparenz im Straßenverkehr sorgen!“
„Wissen Sie, warum wir Sie aufgehalten haben?“
„Weil Sie unser Freund und Helfer sind, der um unsere Sicherheit bemüht ist? Unsere Verkehrsweste ist nämlich super sauber und weiß. Unsere Warnweste wiederum ist neongelb.“
„Na, Sie sind vielleicht lustig. Und was ist mit der happigen Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn?“
„Äh Verzeihung. Ich verstehe die Frage nicht.“
„Sie waren auf der Autobahn viel zu schnell unterwegs“, sagte der Beamte mit merkbarem Druck in der Stimme.
„War denn da eine 100km/h Beschränkung oder so? Ich habe da nämlich gar nichts gesehen“, fragte ich schuldbewusst nach.
„Nein, das nicht, aber Sie sind auch sehr viel schneller als 130 gefahren. Geben Sie das zu?“
„Tut mir leid, Herr Hauptmann“, entgegnete ich, „aber dazu habe ich keine Wahrnehmungen“.
„Wollen Sie damit sagen, dass ich lüge?“
„Keinesfalls, Herr Major, allerdings kann ich nur wiederholen, dass ich in meiner Zeit als Fahrer Geschwindigkeitsübertretungen ausschließen möchte. Alles andere ist rein autofahrerfeindliche Propaganda übelster Sorte.“
„Sie waren nicht angegurtet“, kam in der Zwischenzeit der Vorwurf der Polizistin gegen meine Frau.
„Das kann ich so nicht bestätigen. Sehen Sie, auch jetzt bin ich angegurtet“, antwortete meine Frau.
„Jetzt schon, aber vorher auf der Autobahn nicht! Wollen Sie das denn leugnen?“
„Nein, ich leugne überhaupt nichts. Ich kann mir jedoch kein Szenario vorstellen, bei dem ich nicht angegurtet gewesen wäre.“
Auf der Fahrerseite begann der Polizist bereits etwas zu schwitzen.
„Was ist damit, dass Sie ständig gedrängelt und andere Autofahrer mit der Lichthupe genötigt haben?“
Ich überlegte kurz und gab dann ein „Hm, daran erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur, dass wir ganz sicher nicht alleine auf der Autobahn waren“ zur Antwort.
„Sie wollen mir also allen Ernstes erzählen, dass Sie niemanden gedrängt haben, mit Lichthupe und knappem Auffahren?“
„So verstehen Sie doch, Herr Oberstleutnant, so etwas gehört überhaupt nicht zu meinem üblichen Verkehrsgebaren. Wenn Ihnen da etwas anderes erzählt wurde, muss es sich unweigerlich um eine Schmutzkübelkampagne gegen meine Person handeln. Ich vermute eine Hetze dieser ewigen Neidgesellschaft von kleinmotorisierten Möchtegernpiloten. Mir ist lediglich eine Lenkerin bewusst aufgefallen, aber ich versichere Ihnen, ich hatte keine dränglerische Beziehung zu dieser jungen Frau. Ich kann aber natürlich nicht ausschließen, dass andere Autofahrer gedrängelt haben.“
„Sie werden sich doch wohl noch daran erinnern können“, sagte der Exekutivbeamte und sah dabei zu meiner Frau.
Diese gab gekonnt zu bedenken: „Tut mir leid, aber ich möchte mich der Aussage entschlagen, weil in einer ähnlichen Amtshandlung gegen mich ermittelt wird. Außerdem stehe ich meinem Mann in Fragen der Fahrethik rein beratend zur Seite und könnte hier ohnedies nicht viel zur Klärung der Korruptionsvorwürfe gegen meinen Mann beitragen. Obwohl ich ergänzen möchte, dass er zu schön, zu jung und zu gut ausgebildet für derartige gesetzwidrige Handlungen ist.“ Dann wandte sie sich wieder der Polizistin zu und sagte: „Sagen Sie, haben Sie eigentlich Kinder? Eine schöne Frau wie Sie hat bestimmt ganz wundervolle Sprösslinge!“
Das Gesicht der Beamtin hellte sich merklich auf. „Ja ich habe einen Sohn und eine Tochter. Drei und fünf Jahre alt. Möchten Sie ein Bild sehen?“
„Unbedingt“, entgegnete meine Frau, „und vielleicht darf ich Ihnen eine Kleinigkeit für Ihre Lieben mitgeben. Zufällig habe ich eine ganz neue Puppe und einen Bausteinkasten dabei. Es würde mich glücklich machen, wenn ich Ihren Kindern damit eine kleine Freude machen könnte.“
„Nun ja, das ist etwas ungewöhnlich, und wissen Sie, mein Kollege…“
„Machen Sie sich keine Sorgen, ich will ja auch nicht, dass sich Ihr Kollege fragt wo Ihre Leistung war. Schauen Sie, ich hab‘ ein Plastiksackerl dabei, da steck‘ ich Ihnen beides rein. Dann braucht er nichts davon zu erfahren.“
„Oh, das ist aber sehr aufmerksam von Ihnen“, bedankte sich die Polizistin. „Und Sie versprechen in Zukunft immer angegurtet zu fahren?“
„Selbstverständlich, ich sehe mich als Vorbild für die junge Generation und wünsche mir, dass die Verkehrssicherheit auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Wir haben schließlich eine entsprechende Verantwortung, und ich sage es Ihnen in aller Klarheit, dass ich das Angurten in meinen Verhaltenscodex aufnehmen werde. Wir brauchen auch in Zukunft einen funktionierenden Straßenverkehrs-Rettungsschirm.“
Auf meiner Seite verlief das Gespräch etwas weniger amikal. Der Polizeibeamte verfiel in ein leichtes Schreien: „Über das Stoppschild sind Sie dann wohl auch nicht gefahren, oder?“
Langsam wurde auch ich wütend: „Es gibt keinen Grund, laut zu werden. Mein Gehör ist ausgezeichnet. Und überhaupt lasse ich mir meinen Fahrstil nicht so anpatzen. Ich muss jetzt wirklich meine Restehre verteidigen und das bisher konstruktive Gesprächsklima wieder einmahnen. Behauptungen kann jeder aufstellen. Stellen Sie sich vor, dass das schon reichen würde. Da könnte ich auch sagen, dass Sie im Dienst trinken, und schon wären Sie Ihren Job los. Solch eine rein abstrafungsmotivierte Lynchjustiz weise ich auf das Entschiedenste zurück!“
In den Augen des Polizisten blitzte es auf: „Gutes Stichwort! Haben wir was getrunken?“
„Nun, ich kann über Ihren Alkoholspiegel keine genauen Angaben machen, werter Herr Brigadier. Was meinen betrifft, so mag ein leichtes Negativwachstum meiner Nüchternheit vorhanden sein, jedoch bestenfalls unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.“
„Ja oder nein?“ gab der Polizist empört von sich.
Ebenso flapsig kam „Sie stellen die Fragen, ich antworte dann gerne. Und das war meine Antwort.“ von mir.
Der Beamte war sichtlich der Verzweiflung nahe: „Aber Sie können diese Frage doch einfach mit Ja oder Nein beantworten!“
Nochmals insistierte ich: „Ich bleibe weiterhin bei meiner Aussage. Da können Sie mich auch hundertmal fragen. Über Ihre Nüchternheit weiß ich nichts, und meine ist in ausreichendem Maße gegeben. Daher sehe ich keinen Grund, von meiner Position als Lenker dieses Fahrzeugs zurückzutreten, solange meine Schuld nicht einwandfrei bewiesen ist. Im Übrigen möchte ich zu bedenken geben, dass man einmal über eine Valorisierung der Grenzwerte nachdenken sollte. Hier sollte der Autofahrer als Souverän befragt werden. Und wenn wir grade dabei sind, dann möchte ich schon darauf hinweisen, dass es gut wäre auch einmal Ihre Kollegin zu fragen, ob sie etwas getrunken hat oder nicht, anstatt immer nur mich zu attackieren. Ich vermute nämlich schon länger Unregelmäßigkeiten bei der Exekutive. Dort sind die richtigen Skandale zuhause. Als Vertreter der Gesinnungsgemeinschaft der Autofahrer fordere ich daher lückenlose Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuss!“
Danach senkte ich meine Stimme und sprach in ruhigem Ton weiter. „Natürlich habe ich aber vollstes Vertrauen zu Ihnen, Herr General. Ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird, und am Ende des Tages, also jetzt, ans Licht kommen wird, dass ich in dieser Affäre ein Opfer und kein Täter bin. Es existiert nämlich kein System Böser-Autofahrer-Maximus! Darüber hinaus möchte ich daran erinnern, dass auf unseren Straßen der Vertrauensgrundsatz noch etwas gelten und nicht nur ein leeres Wort sein sollte.“
Die beiden Beamten zogen sich zur Beratung zurück, und kurze Zeit später wurden sämtliche Vorwürfe gegen meine Frau und mich fallen gelassen. Mehr noch, durch eine weitere Plastiksackerltransaktion konnte ich sogar sicherstellen, dass man uns per Polizeieskorte noch rechtzeitig in die Oper brachte. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
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Aber ich mahne zur Vorsicht mein lieber Maximus! Wer sich windet wie ein Aal – der läuft Gefahr auch geräuchert als selbiger zu enden!!
Prinzipiell gebe ich Dir natürlich recht, liebe Stachi, wobei ich nicht vermag, gegen ein gut gemachtes, geräuchertes Aalfilet etwas einzuwenden. Abgesehen von kulinarichen Erwägungen, ist die windende (oder vielleicht bessere windige) Ausdrucksweise in diesem Fall jedoch der Klientel geschuldet, die für die Geschichte Pate stand. Kurz, ich habe bei den lieben Politiken wohl etwas zu sehr an „aalglatt“ gedacht 🙂