
Meine Frau und ich haben eine recht gute Aufteilung, was Hausarbeit betrifft. Ich z.B. hasse das Bettenmachen, dafür verabscheue ich das Kloputzen. Sie wiederum drückt sich gerne vorm Bügeln, dafür boykottiert sie das Fensterputzen. Beide meiden wir das Staubsaugen. So gesehen ergänzen wir uns recht gut. Und ja, beide hassen wir das Geschirrspülen abgrundtief. Meine Frau ein wenig weniger, ich ein wenig mehr. Deshalb gab es in unserem Haushalt einen Geschirrspüler, lange bevor es Bett, Couch oder gar Fernseher gab. Schnell wurde er unser wichtigstes Familienmitglied, welches stumm und zuverlässig all die widerliche Arbeit erledigte, die sonst keiner machen wollte. Über Jahre hinweg. Bis vor zwei Wochen, da begann er, nach einigen mechanisch klingenden Seufzern, zu streiken.
Wir waren schockiert, erschrocken, betäubt. Wir wussten weder ein noch aus. Schnell war klar, da musste ein Spezialist ran. Glücklicherweise verfügen wir in unserem Freundeskreis über den weltbesten Elektriker. Seine Chirurgenhände würden unseren Geschirrspüler schon heilen. Unglücklicherweise hatten wir den Kontakt zu Andi, unserem Oberelektriker, in letzter Zeit leider etwas schleifen lassen. Ich persönlich wollte ihn zwar geradewegs anrufen, und ihm unser Elend klagen, meine Frau meinte jedoch, dass es unter diesen Umständen besser wäre, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und ihn erstmal gemeinsam mit ein paar Freunden zum Abendessen einzuladen.
Das war diplomatisch und berechnend zugleich, weshalb ich keinen Einwand hatte. Weil es jedoch eindeutig pressierte, lud ich Andi und fünf weitere Freunde gleich für den kommenden Abend ein. Unser Plan war, ihn nach einem feudalen Mahl zu bitten, sich doch bei Gelegenheit unseren Patienten anzusehen. Dass sich diese Gelegenheit dann exakt zwischen Verdauungsschnaps und Kaffee einstellen würde, konnte er ja dann schon bald feststellen.
Bedauerlicherweise hatte niemand von uns mit der Fischvergiftung gerechnet, die sich Andi schon mittags davor geholt hatte, weshalb er unseren Hauptgang schon nach wenigen Bissen Revue passieren lassen und kurz drauf gehen musste. Was blieb waren fünf Freunde und, nach dem Kaffee, meine Frau und ich mit einem riesigen Geschirrstapel. Irgendwo war unser schöner Plan falsch abgebogen. Nun galt es also kühlen Kopf zu bewahren und die Sache geschirrspülerlos auszusitzen, bis Andi sich wieder erholt hatte. Den vulgären Handabwasch, lehnten meine Frau und ich nun mal aus ethischen Gründen rundweg ab.
Das Abendessendesaster führte logischerweise zur strengen Rationierung des Restgeschirrbestandes. Es galt womöglich eine ganze Woche mit den wenigen Tassen, Tellern, Gabeln, Messern und Löffeln durchzuhalten. Das alleine würde eine logistische Meisterleistung erfordern. Und für mich eine psychologische! Auf keinen Fall nämlich durfte ich mir die nackte Angst vor dem Schwinden des sauberen Geschirrs und vor dem überfüllten Abwaschbecken anmerken lassen. Meine Frau ist ein Spürhund und riecht die kleinste Unsicherheit kilometerweit. Hätte sie irgendwie in meinem Gesicht lesen können, dass mir der Geschirrberg Sorgen macht, hätte sie mich mit ihrem Blick, dem Blick, gekonnt unter Druck gesetzt, der Misere händisch ein Ende zu machen. Das galt es unter allen Umständen zu vermeiden.
Es schien daher naheliegend zu sein, als erstes einen kleinen Notvorrat an Kaffetassen, Gabeln etc. auf die Seite zu schaffen. Das meiste davon verstaute ich in meinem Schrank und die eiserne Reserve, meine Lieblingstasse, in meinem Safe. Natürlich achtete ich darauf, dass von jeder Geschirrart eine ungerade Anzahl in den Küchenschränken verblieb. Im Ernstfall würde mir das die Gelegenheit bieten, meiner Frau höflicherweise zum Beispiel beim letzten Besteck den Vortritt zu lassen, was sie wiederum in Abwasch-Zugzwang bringen würde.
Tags darauf wollte ich mir zur Belohnung ein frisches Glas gönnen, und wurde plötzlich kreidebleich. Beim routinemäßigen Durchzählen stellte ich fest, dass von allem nur noch eine gerade Anzahl da war. Ganz offensichtlich hatte meine Frau meine Anstandsfinte egalisiert und sich gleichzeitig auch einen Privatbestand auf die Seite geschafft.
Panisch rannte ich zu meinem Schrank um zu sehen ob mein Versteck noch sicher war. War es nicht. Der Feind hatte mein Lager vollständig leergeräumt. Jetzt musste ich sofort handeln. Das rigorose Durchsuchen der Habseligkeiten meiner Frau ergab jedoch lediglich, dass ihre Verstecke deutlich weniger vorhersagbar waren als die meinen. In meiner Verzweiflung grub ich mich sogar durch sämtliche unserer Topfpflanzen, wurde aber auch nicht fündig.
Unterdessen rief mich meine Frau gut gelaunt zum Essen. Mit triumphierendem Lächeln teilte sie mir mit, dass sie über die Stränge schlagen wolle und daher mit frischen Tellern und sauberem Besteck gedeckt hatte. Da ging sie hin, meine Notration.
In den nächsten Tagen wurde die Lage immer angespannter, weshalb wir solange auswärts aßen, bis die Leere auf unserem Konto ein getreues Abbild jener in den Küchenregalen ergab. Das ging leider erheblich schneller als die Genesung unseres Haus- und Hofelektrikers.
„Weißt Du“, sagte meine Frau, während sie sich im Spiegel betrachtete, „nach dem vielen Essengehen finde ich mich zu dick. Ich werde die nächsten Tage einfach einmal fasten, um ein bisschen abzunehmen.“ Da war sie, die nächste Hinterhältigkeit. Während sie abnahm, würde ich das restliche Geschirr verbrauchen und wäre somit gezwungen den Abwasch anzugehen. Niemals! Ich beschloss, dass der knurrende Magen weit weniger Schmerzen verursachte, als die Hände auch nur eine Nanosekunde in das ekelhafte, abscheuliche, ganz bestimmt Verätzungen und Seuchen verursachende Abwaschwasser zu halten und tat es meiner Frau gleich. Nach drei Tagen gaben wir den gemeinsamen Hungerstreik auf, da sich damit kein Tempovorteil erzielen ließ.
Während der folgenden Tage begnügten wir uns dann mit Lebensmitteln die man direkt aus der Packung schlürfen konnte und damit die Butter noch in der Folie leicht zu erhitzen, um sie dann aufs Brot gießen zu können. Dennoch kam er. Der unvermeidliche Tag des letzten Löffels. Unser Frühstück bestand darin, dass wir zunächst den Mund unter die Espressomaschine hielten um den Morgenkaffee zu uns zu nehmen, wobei wir uns die Zungen verbrannten. Danach gab es Joghurt aus dem Becher, in den wir Müsli schütteten. Wir hatten also zwei schmerzende Zungen und zwei Joghurtbecher, aber nur mehr einen sauberen Löffel. In dieser Stunde der größten Bedrängnis konnten wir dann einmal mehr feststellen, dass einen die Not zusammenschweißt. Wir teilten uns den letzen Löffel und warfen ihn dann gemeinsam auf den riesigen Geschirrstapel, der mittlerweile verblüffende Ähnlichkeit mit Burj Khalifa hatte.
Damit herrschte Waffenstillstand, und zur Feier der Beilegung unserer Geschirrfehde holte ich meine Lieblingstasse aus dem Tresor, um bei einem ordentlich konsumierten Espresso über eine Lösung zu beraten. Aufgrund der anhaltenden Unverfügbarkeit unseres Elektrikerchirurgen Andi, war es an der Zeit, dem allzu frühen Ableben unseres Spülis ins Auge zu sehen.
Natürlich haben wir für ein standesgemäßes Begräbnis gesorgt. Nur die allgemeine Anstandsdauer bis zur Anschaffung eines neuen konnten wir nicht abwarten. Für morgen haben wir Andi und ein paar Freunde zur feierlichen Geschirrspüler-Einweihungsparty eingeladen. Schließlich muss der neue ja auch angesteckt werden.
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