
Lesen Sie hier den zweiten Teil und erfahren Sie, wie sich Maximus durch die raue Welt der Medizin geschlagen hat.
Was bisher geschah:
Von Ärzten, Schmerzen, Androgynia und ganzen Kerlen – Teil 1
So, was ist jetzt?“
„Äh ja, Verzeihung, nun ich habe nach wie vor Ohrenschmerzen…“
„Was denn, um kurz vor drei haben Sie Ohrenschmerzen?“
„Um ehrlich zu sein kenne ich leider den Terminplan meiner Schmerzen nicht genau. Ich weiß nur, dass ich aufgewacht bin, und dann waren sie da.“
„Und deswegen kommen Sie einfach um die Zeit hier her?“
„Ja stimmt, ich dachte mir, falls es keine Umstände macht, wäre es nett, wenn Sie sich das ansehen könnten.“
„Sicher macht es Umstände. Aber jetzt bin ich sowieso schon auf. Gehen Sie rein da ins Behandlungszimmer.“
Gut, ihr Ton war vielleicht ein wenig herrisch, aber zumindest würde mir diese Frau, na ja dieser Arzt, helfen. Meine Frau hatte bedeutend weniger Glück. Sie wurde mit einem Blick bedacht, der in etwa: „Und was willst Du hier? Trau Dich ja nicht zu sagen, dass Dir auch irgendwas fehlt, sonst gibt es hier gleich einen Satz ganz heißer Ohren. Dagegen sind die von Deinem Mann ein Waisenkind“, aussagte. Danach schubste mich die Smeagol-Notärztin ins Untersuchungszimmer und knallte meiner Frau die Tür vor der Nase zu.
„So hinsetzen! Verdammt wo ist mein Otoskop hin? Aber es ist ja kein Wunder. Die ganze Nacht wird man gestört. Ständig ruft einer an. Die Dreisteren kommen sogar her. Wie soll man sich da ausruhen? Haben’s denn heute schon ein Schmerzmittel genommen?“
Der raue Tonfall und meine Angst, sie weiter in Rage zu versetzen, wirkten leicht sedierend auf mich, wodurch sich meine Schmerzen leicht abmilderten. „Na ja, also, ähm…“
„Ob Sie was genommen haben!“
Mein Widerstand war gebrochen, es war Zeit zu gestehen. „Vor dem Schlafengehen hab‘ ich…“
„Ach was, ist eh egal. Welches Ohr?
„An sich das rechte, aber könnten Sie möglicherweise beide anschauen. Um sicher zu gehen.“
„Aha, wenn Sie selbst Arzt sind, können Sie sich gerne selbst untersuchen. Dazu hätten Sie mich nicht aus dem Schlaf reißen brauchen. Wenn es im rechten weh tut, dann schaue ich mir das rechte an!“
Die folgende Untersuchung dauerte großzügig geschätzt knappe vier Sekunden.
„Ich seh‘ da nichts“, lautete der Befund.
„Hm, und was soll ich jetzt machen? Ich meine, Schmerzen hab‘ ich nun mal.“
„Was schon? Gehen Sie heim, nehmen Sie ein Schmerzmittel und gehen Sie schlafen.“
Mit diesen Worten schob mich das androgyne Wesen aus dem Behandlungszimmer und zog sich eilig in die Gollum-Höhle zurück, aus der es gekommen war. Meine Frau und ich blieben im finsteren Warteraum verdutzt zurück, in dem meine Gute-Nacht-Wünsche und die neuerliche Entschuldigung für die späte Störung ungehört verhallten.
„Und was hat sie gesagt?“, wollte meine Frau wissen.
„Ha, dass ich ein Schmerzmittel nehmen soll. Unvorstellbar, nicht wahr? Aber Therapie hat sie leider keine vorgeschlagen.“
„So eine Frechheit! Beschweren sollte man sich über diese Person! Na wenigstens hat sie richtig erkannt, dass Du so schmerzempfindlich bist und Dir gesagt, dass Du was nehmen sollst.“
„Wie bitte?!“
„Ach mach‘ Dir doch keine Sorgen. Wir sind verheiratet. Ich kenne Dich mittlerweile ziemlich gut. Ich weiß doch, dass Du das Voltaren heimlich im Bad nimmst, wenn Du Schmerzen hast. Müsstest Du gar nicht. Für mich bist Du auch so ein starker Mann.“
Ich war fassungslos. Nicht das Weltbild meiner Frau wurde in dieser Nacht erschüttert, sondern meines. Mir verschlug es die Sprache und ich konnte nur mit den Schultern zucken. Das einzig Gute an dieser Demütigung war, dass der psychische Schmerz den physischen etwas linderte.
„Meiner Meinung nach sollten wir in die Notaufnahme fahren. Du solltest das von einem echten Arzt anschauen lassen.“
Um weitere Schäden an meinem ramponierten Ego zu vermeiden, hatte sich mein Gehirn automatisch heruntergefahren, weshalb ich wortlos nickte und wir zum Auto gingen. Wir fuhren zur Notaufnahme des städtischen Krankenhauses, wo uns jedoch an der Auffahrtsrampe für Rettung und Notfälle die Zufahrt verwehrt wurde.
„Wer ist der Patient und welche Beschwerden hat er?“, tönte es aus dem Lautsprecher neben dem Einfahrtsschranken.
„Mein Mann. Er hat starke Ohrenschmerzen und muss zur Erstbehandlung“, gab meine Frau zurück.
„Und ist ihr Mann gehbehindert?“
„Nein, wieso? Ich hab‘ doch gesagt, er hat Ohrenschmerzen.“
„Tut mir leid, dann dürfen Sie hier nicht hochfahren. Sie können die Tiefgarage auf der anderen Seite nehmen. Das sind dann maximal fünf Minuten zu Fuß. Tut Ihrem Mann vielleicht gut. Alles Gute.“
Der Portier legte auf. Mangels Alternativen fuhren wir in die Tiefgarage und machten uns auf den Weg. Erstaunlicherweise behielt der Mann recht. Der fünfzehnminütige Fußmarsch bei forschem Schritttempo drängte einen weiteren Teil meiner Schmerzen zurück.
Die Nachtschwester der Notaufnahme musterte mich eindringlich, nachdem ich mein Leiden ausführlich beschrieben hatte und fragte: „Also haben Sie NUR Ohrenschmerzen?“
„Ja, aber eigentlich bin ich der Meinung, dass das genügt. Obwohl auch Ihr Portier schon gemeint hat, dass es mir gut anstehen würde, wenn ich zumindest noch ein Hinkebein vorweisen könnte.“
„Nein nein, so hab‘ ich das gar nicht gemeint. Es ist nur so, wir sind da nicht zuständig. Sie müssten da zur HNO-Ambulanz. Die haben dort auch Nachtdienst.“
„Gerne“, antwortete meine Frau, „solange sie uns nicht wieder zum Notarzt schicken. Wo müssen wir dazu hin?“
„Das ist ganz einfach. Sie gehen jetzt in Richtung unserer Tiefgarage und wenn Sie dort sind, nehmen Sie die erste Straße links. Dann sind es maximal fünf Minuten zu Fuß.“
Wir bedankten uns und erreichten exakt dreißig Minuten später die HNO-Klinik. Abermals stellte ich fest, dass mir der ausgedehnte Fußmarsch gut getan hatte. Unglücklicherweise lag jedoch die gesamte Klinik im Dunkel. Meine Frau und ich umrundeten das Gebäude drei Mal, konnten aber keinen Eingang zur Ambulanz entdecken. Müde und geschafft ließ ich mich auf eine Bank vor dem Haupteingang fallen. Zum ersten Mal seit Beginn unserer Odyssee fühlte ich mich richtig gut. Die Übermüdung hatte ihr Scherflein beigetragen, und ich war nun fast schmerzfrei.
Wir saßen einige Minuten auf der Bank und ruhten uns aus. Plötzlich rief eine Schwester, vom dritten Stock des Gebäudes aus zu uns: „Kann ich Ihnen helfen? Fehlt Ihnen etwas?“
„Hm, ja, ich denke…, genau…, ich denke ich habe Ohrenschmerzen“, stammelte ich leicht verwirrt.
Meine Frau übernahm daraufhin das Reden: „Mein Mann hat starke Ohrenschmerzen, und wir wurden von der Notaufnahme hierher geschickt.“
„Kommen Sie rauf. Dritter Stock.“
Dort angekommen, drückte mir die Schwester einen Stapel an Formularen in die Hand, die ich vor der Untersuchung auszufüllen hatte und verschwand. Wir setzten uns an einen Tisch in einer Art provisorischem Warteraum und bearbeiteten die Formulare gewissenhaft. Nach zwanzig Minuten waren wir fertig, weitere fünf Minuten später tauchte die Schwester wieder auf.
„So, dann folgen Sie mir jetzt ins Untersuchungszimmer. Sie sind wegen Ohrenschmerzen zu uns gekommen, richtig?“
Ich musterte die Krankenschwester total entgeistert und bemerkte verblüfft, dass ich nicht mehr den blassesten Schimmer hatte, warum ich mitten in der Nacht in der HNO-Klinik stand.
„Ja, kann sein. Entweder am Hals, an der Nase, oder an den Ohren“, ergänzte ich, nachdem ich alles verarbeitet hatte.
Von da an ging es sehr schnell. Man setzte mich auf den Untersuchungsstuhl, die Ärztin, diesmal eindeutig als solche erkennbar, sah mir ins Ohr, diagnostizierte eine starke Entzündung des äußeren Gehörgangs und verordnete mir antibiotische Ohrentropfen und Voltaren. Falls ich dem medizinischen Apparat glauben konnte, hatte ich also offenbar Ohrenschmerzen. Aber wegen so etwas würde ich doch niemals ein Schmerzmittel nehmen.
Gerade als ich mich beschweren wollte, sagte die Ärztin: „Sagen Sie, haben Sie denn eigentlich gar keine Schmerzen? In Ihrem rechten Ohr sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Das muss ziemlich weh tun. Sie sind der erste Patient mit sowas, der sich gar nicht beklagt hat.“
„Ach wissen Sie, ein Mann sitzt sowas aus. Und überhaupt, wir sind ja kaum schmerzempfindlich.“ Da war es, ein gelungenes Comeback eines echten Helden.
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Ein echter Held hätte sich todesmutig ins Auto geschmissen, wäre nach Piefkeland gedüst, hatte sich dort nen ganzen Abend lang pseudo-bayowarischer-uff-ta-da-Musik ausgesetzt und das ganze dann auch noch als riesen Spass bezeichnet. Ein echter Held hat bei so einer Aktion natürlich auch passende Adjudanten am Start: Seine angebetete zuckersüße Herzensprinzessin und seine hilfreichen Gehilfen 🙂 🙂 🙂 🙂
Sie sind halt so selten…, die echten Helden…