
Im Allgemeinen haben die Menschen ja panische Angst davor überzeugt zu werden. Das ist auch gar nicht weiter verwunderlich, denn schließlich wurden sie durch die unheilbringende normative Kraft des Faktischen irgendwann davon überzeugt, dass es schmerzt, überzeugt zu werden. Und da der Mensch gerne aus Erfahrung lernt, setzt sich diese Überzeugung dann fest. Womit wir auch gleich bei einem wesentlichen Unterschied wären. Überzeugt zu SEIN verursacht eigentlich kaum jemand unsagbare Pein, überzeugt zu WERDEN hingegen schon. Deshalb ist es ohne logischen Widerspruch leicht möglich, davon überzeugt zu SEIN, dass überzeugt zu WERDEN eine schlechte Idee ist. Notiert als Merksatz könnte man das folgendermaßen zusammenfassen: Überzeugt zu werden schmerzt oft sehr, überzeugt zu sein jedoch nicht mehr.
Gepaart mit der Erkenntnis, dass ein schmerzfreies Leben den meisten von uns besser gefällt, ergibt sich daraus rasch, dass es sich besser lebt, wenn man dem Überzeugtwerden so gut wie möglich ausweicht. Sollten Sie erklärter Überzeugungsmasochist sein, rate ich Ihnen von der weiteren Lektüre dieses Artikels ab, da er eine Art Anleitung zum Unüberzeugtbleiben darstellt.
Um einen gewissen Rahmen einhalten zu können, teilen wir den Vorgang des Überzeugtwerdens ganz grob in drei Modi ein. 1) Sich überzeugen lassen, 2) Sich selbst überzeugen und 3) Sich von sich selbst überzeugen lassen. Die Aufzählung erfolgt dabei bewusst in Reihenfolge einer abnehmenden Schmerzintensität der einzelnen Modi. Dies schien mir gerechtfertigt, geht es doch schließlich darum, den größten Schmerz gleich zu Beginn aus dem Weg zu räumen.
Heute wollen wir den ersten Modus besprechen, im zweiten Teil dieses Artikels dann Modus 2 und 3.
Sich überzeugen lassen
Dieser Modus schließt in unserer Betrachtung immer eine weitere agierende Person ein. Alle Überzeugungsvarianten, die beispielsweise durch den Konsum von Medien entstehen und denen man sich gleichsam selbst aussetzt, werden unter Modus 2 abgehandelt.
Die klassische Situation in diesem Modus ist wohl das Gespräch, welches nicht selten in eine Diskussion ausartet, die ihrerseits nahtlos in einen Streit übergeht. Das alleine wäre noch kein Problem, denn für viele Menschen stellt ein kleines Streitgespräch eine Form der guten Unterhaltung dar. Unglücklicherweise geht es bei derlei Szenarien nur allzu selten um Fragen wie „Welche Farbe ist schöner?“ oder „Wie magst Du Deinen Kaffee?“. Meist sind es Themen, die durch Argumente erschlossen werden können. Argumente! Passen Sie auf, falls Ihnen einmal eines begegnen sollte. Argumente sind geradezu prädestiniert dafür, einen Überzeugungsprozess einzuleiten und sind daher auf das schärfste zurückzuweisen. Sie sind die kleinen Geschwister der Fakten und Tatsachen, die noch weitaus mehr Überzeugungskraft besitzen und entsprechend vehement bekämpft werden müssen.
Im konkreten Fall haben Sie nun die Möglichkeit, ein Argument oder den Verweis auf ein Faktum seitens Ihres Gesprächspartners augenblicklich durch den verbalen Fleischwolf zu drehen und als „leere Worthülsen“, „Geschwätz“ oder „Besserwisserei“ abzutun. Schon Schopenhauer hat darauf hingewiesen, dass das Lächerlichmachen einer wahren Aussage bzw. ein markiger ad hominem gegen den Äußerer (vulgo Beleidigung, vulgo z.B. „Besserwisser“) derselben, probate Mittel sind, um den Standpunkt des Gegenübers wirksam abzuwehren. Aber Vorsicht! So gut dies während des Gesprächs auch funktionieren mag, das ist keine Garantie, dass sich der Gedanke Ihres Gesprächspartners nicht danach in Ihr Gehirn frisst. Selbst wenn sie jeden davon überzeugen können, die Diskussion unüberzeugt gewonnen zu haben, besteht die Gefahr, sich einen Wahrheitsvirus eingefangen zu haben, der post discussionem den Schmerz der Gewissheit in Ihr Oberstübchen injiziert und die Überzeugung plötzlich platzgreift.
Wir benötigen also eine Methode, die sehr viel fundamentaler zu Werke geht. Hier scheint es angebracht, sich einen Augenblick zurückzulehnen und sich ein Beispiel an jenen zu nehmen, die noch unverseucht sind von den leidvollen Erfahrungen des Lebens, die noch keinerlei toxische Überzeugung in sich tragen, weil sie intuitiv richtig reagieren, sobald etwas an sie herangetragen wird, von dem sie meinen, es sei nicht für ihre Ohren bestimmt: den Kindern. Was tun Kinder, um die Aufnahme unliebsamer Fakten zu vermeiden? „Na na na na na, ich will das gar nicht hören…, la la la ich singe lieber, ich versteh‘ Dich gar nicht…“. Dazu unterstützen sie diesen Kunstgriff mit dem Zuhalten beider Ohren, um sicher zu gehen, dass auch ja kein Tropfen des infektiösen Lauschgiftes sie erreicht. Sollten Sie jetzt der Meinung sein, dass ein solches Betragen in den Kreisen, in denen Sie sich bewegen, als unpassend empfunden werden würde, dann passen Sie Ihre persönliche Variante dem Setting einfach an. Ersetzen Sie das kindliche „na na na na na“ beispielsweise mit dem gleich aussagekräftigen „Darüber will ich (mit Dir) sicher nicht (jetzt) diskutieren!“ Anstatt sich die Ohren zuzuhalten, konzentrieren Sie sich auf Umgebungsgeräusche, und tragen Sie Ihre Schutzbemerkung energisch und befeuert durch moralische Entrüstung vor.
Wer vollständig auf Nummer sicher gehen will, umgibt sich fortan nur noch mit Menschen, die dieselben Ansichten haben, und dünnt so langsam aber sicher seinen Bekanntenkreis aus. Oder man ist wirklich konsequent und versucht sich als Überzeugungseremit und spricht überhaupt mit niemandem mehr.
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[…] ersten Teil (Unüberzeugt aus Überzeugung – Teil 1) haben wir besprochen, wie man es vermeiden kann, sich von anderen überzeugen zu lassen. Nach […]
Wer die Summe aller Anregungen befolgt, die einem in Teil 1 und Teil 2 zu diesem Thema als zielführend ans Herz gelegt und überaus eloquent dargelegt werden, um aus Überzeugung unüberzeugt zu bleiben, muss meiner Ansicht nach ein äußerst seltenes, falls überhaupt existierendes, und darüber hinaus nur sehr, sehr schwer einzuordnendes Exemplar des homo sapiens sein.
Sicher ist:
Es gibt eine Kategorie Menschen, die alles bejaht, was andere sagen, was natürlich dazu führt, dass sie ihre Meinung häufig ändern, weil sie ja laufend auf Zeitgenossen mit unterschiedlichen Ansichten zu ein und demselben Thema stoßen, und daher immer das glauben, was sie zuletzt dazu gehört haben.
Dann gibt es jene, die grundsätzlich, ohne nachzudenken, alles verneinen, was andere sagen und aus Prinzip genau der gegenteiligen Meinung sind. Auch für diese gilt naturgemäß, dass sie ständig wechselnde Standpunkte zu ein und demselben Thema einnehmen „müssen“.
Nicht zu vergessen jene, die überhaupt nie eine Meinung haben, nicht um ihre tatsächliche Meinung vor anderen zu tarnen, sondern, weil sie ihren Denkapparat einfach so gut wie nie einschalten.
Alle drei Gruppen sind weder wirklich überzeugt, noch wirklich unüberzeugt, und schon gar nicht aus Überzeugung unüberzeugt.
Natürlich gibt es auch große Denker unter unseren Zeitgenossen. Die grübeln und forschen solange, bis sie sich entweder durch andere große Denker von deren Forschungsergebnissen überzeugen lassen oder sich durch eigenes Nachsinnen und Nachforschen (wobei sie auch noch unbewiesene Theorien anderer, sofern sie sie nachvollziehen können, in ihre eigenen Überlegungen mit einschließen), selbst überzeugen.
Letztlich gibt es auch so kleine Lichter, wie mich selbst, deren IQ leider nicht mit jenem der großen Denker vergleichbar ist. Die möchten allerdings auch nicht Unsinn glauben. Daher geben sie sich Mühe, ihr eigenes Gehirn einzuschalten und anzustrengen, aber auch ihre aus dem Bauch kommenden Empfindungen mit einzubeziehen, um letztlich zu gewissen Ansichten und Überzeugungen zu gelangen, d.h. sie bemühen sich darum, selbst Beweise zu finden, sie lassen sich aber auch gerne durch hieb- und stichfeste Beweise, die Gescheitere ihnen vorlegen können, überzeugen. Für diese Kategorie Mensch ist es eine Freude, sich selbst zu überzeugen und durch andere überzeugt zu werden.
Fazit: Das Motto, dem ich gerne folgen möchte: Sich selbst überzeugen und überzeugt werden, und zwar durch überzeugende Argumente, und noch besser – durch Beweise.