
Der Bär ist unser aller Freund. Treue Blogleser kenne ihn bereits, seit er versucht hat, mich (tatsächlich mich!) um Rat zu fragen, als es um die Anschaffung eines neuen motorisierten Zweirades ging (Brumm brumm…). Ich mag den Bären, mein Mann mag ihn, alle unsere Freunde mögen ihn. Der Bär ist der Liebling der Welt. Aber er ist auch noch etwas anderes. Um Punkt zehn Uhr abends ist er: Weg!
Egal wo, egal mit wem er unterwegs ist, pünktlich zehn Minuten vor zehn macht sich der Bär aus dem Staub, meist mit den Worten:„So, na dann, dann werd ich mal langsam, also dann mal… aufbrechen.“
Keiner weiß, was danach mit ihm geschieht. Verwandelt er sich? Führt er ein Doppelleben? Hasst er uns alle so sehr, dass er uns nur bis maximal zwei Stunden vor Mitternacht ertragen kann? Wir wissen es nicht.
Er selbst hat natürlich allerhand fadenscheinige Ausreden parat, allen voran: Ich bin müüüüde! Oder er hatte einen schweren Tag, war gestern zu lange unterwegs (haha, das ist eindeutig das Absurdeste, denn wie soll man denn lange unterwegs sein, wenn man immer nur bis zehn unterwegs ist?) Oder er hat morgen etwas äußerst Anstrengendes zu tun, oder nächste Woche, oder nächstes Jahr.
Als gute Freude respektieren wir natürlich diese Schrulle. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir nicht auf jedem erdenklichen Wege versuchen, ihn doch irgendwie über die zehn Uhr Latte zu hieven.
Einmal hatten wir den genialen Plan, ihn in einer größeren Runde derart eingekeilt zu positionieren, dass er nicht ohne großartige Verrenkungen allerseits, still und heimlich verschwinden konnte. Denn was der Bär noch weniger mochte, als nach zehn Uhr heimzugehen, war vor zehn Uhr ungebührlich aufzufallen. Wir alle waren bereits hocherfreut, als es dreiviertel zehn wurde und der Bär noch keine Anstalten machte, zu gehen. Aufgeregt warfen wir uns versteckte Blicke zu und stießen uns unter dem Tisch an. Dummerweise saß Lili neben ihm. Lili so dünn wie ihr Name und mit der Blase eines Legomännchens. Plötzlich meinte sie, sie müsse aufs Klo. Unsere Gesichter fielen in sich zusammen. Klarerweise sagte der Bär: „Na dann werd ich mal auch die Gelegenheit ergreifen… dann braucht ihr nicht zweimal aufzustehen.“
Lili wurde mit argwöhnischem, der Bär wie immer mit resignierendem Blick bedacht.
Ein anderes Mal luden wir ein brünettes bildhübsches Mädchen, in das er kurzfristig verliebt war, ein, so gegen neun in unser Stammlokal zu kommen. Das würde sich der Bär doch nicht entgehen lassen! Nicht mal als Werwolf.
Sie kam, allerdings viel zu spät. Kurz vor zehn stürzte sie ins Lokal. Sie entschuldigte sich und meinte, sie hätte leider gar keine Zeit, sie wollte nur kurz vorbeischauen, um nicht unhöflich zu sein, vielleicht ein andermal. Sie würde sich jetzt ein Taxi rufen, weil ihr Auto eingegangen sei. Das war des Bären Stichwort. „Soll ich dich heimbringen?“ fragte er hinterhältig, und in stiller Eintracht verließen sie das Lokal.
Nun gut, das war auch fehlgeschlagen. Wir mussten zu härteren Bandagen greifen. Wir verabredeten uns mit ihm bereits vor 18 Uhr, unter dem Vorwand, allerlei Lustiges zu feiern zu haben. Die erste Runde ging zu Ehren des Bären ganz allgemein. Danach feierten wir nachträglich den ersten Schultag von jedem einzelnen von uns, den Winter, die hübsche Kellnerin, alle Braunhaarigen, dann alle Blondköpfe und schließlich gedachten wir sämtlicher Glatzköpfe der Welt. Bei der siebten Runde drehten sich die Pupillen in den Augäpfeln des Bären gegengleich und sein Kopf sank auf die Tischplatte. Es war 14 Minuten vor zehn. Wir dachten schon, wir hätten es geschafft, als der Kellner uns bat, doch bitte das Lokal zu verlassen, denn Menschen, die auf den Tischen schliefen, könnten die Konsumationslust der anderen Gäste ungebührlich beeinträchtigen.
Mit hängenden Köpfen stiegen wir in ein Taxi, brachten den Bären in seine Wohnung, legten ihn ins Bett und zogen die Türe hinter uns zu. Es war eine Minute nach zehn!
Das hatte alles keine Zukunft. Wir beschlossen, den Bären auf frischer Tat zu ertappen. Einmal, an einem Samstagabend, als er unsere Runde bereits kurz nach neun verließ, sagten wir noch leise „Servus“, warteten zehn Minuten, zahlten und fuhren auf direktem Wege zu ihm nach Hause. Wir versteckten uns hinter einem Altpapiersammelbehälter. In seinem Stockwerk war noch Licht. Es war drei vor zehn, zwei vor zehn, eine Minute vor zehn! Ha! Erwischt! Seine Stunde hatte geschlagen!
Da erlosch das Licht. Zuerst in der Küche, danach im Wohnzimmer und schließlich, schließlich, auch im Schlafzimmer. Der Bär ging tatsächlich auch zu Hause um zehn Uhr heim.
Wir waren schockiert, er hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt, all die Jahre, wenn er sich wie unter Geburtsschmerzen aus unserer Mitte stahl und wir uns die abenteuerlichsten Geschichten ausdachten, wo der Bär denn nun sei, was er nun tat, all die Male war er einfach nur schlafen gegangen.
Nach einigen Schweigeminuten machten wir uns auf den Weg.
Wir gingen nach Hause, wir waren müde. Es war ja auch schon nach zehn!
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