Was dem kleinen, aufgeblasenen Franzosen sein Waterloo, ist mir das Kaufhaus. Was den Römern ihr Hannibal, ist mir der Verkäufer. Natürlich nicht jeder. Nur jene, die sich mir ins Gedächtnis gebrannt haben. Für alle anderen gilt selbstverständlich die vielzitierte Unschuldsvermutung.
Prinzipiell glaube ich ja, dass das alles meine Schuld ist und nicht die des geschulten Fachhandelpersonals. Ich habe einfach Angst vor der Spezies Verkäufer, wegen einiger pawlow’scher Erlebnisse. Als Resultat bevorzuge ich mittlerweile den Baumarktverkäufer. Beschreibt man ihn als sehr diskret und zurückhaltend, wäre das wohl eine Unterreibung. Urbaner Mythos trifft es eher, ist aber vielleicht etwas zu dick aufgetragen. Baumarktangestellte sind mit Ausnahme des Kassenpersonals eben einfach nie dort, wo ich sie vermuten würde, also in den Abteilungen, den Gängen dazwischen, oder an der Information. Wahrscheinlich spielen sie mit den Kunden abfangen, und nur ich weiß nichts davon. Oder sie erhalten in der Berufsschule eine Ausbildung zum Ninja. Sei es wie es sei, der klassische Baumarktverkäufer und ich haben ein ausgezeichnetes Einvernehmen.
Ganz anders ist es da beispielsweise im Lebensmittelhandel. Wobei auch hier die Mitarbeiter keine Schuld trifft. Schuld ist nämlich ausschließlich meine Frau! Wenn wir gemeinsam durch die diversen Warenschluchten schlendern, auf der Suche nach einem bestimmten Produkt, habe ich die Angewohnheit, selbiges am angestammten Platz zu suchen. Findet sich dort nichts, suche ich das nähere Umfeld ab. Findet sich dort eine leere Regalstelle, nehme ich an, dass das Produkt gerade ausverkauft ist und wähle ein Alternativprodukt. Meine Frau beeilt sich jedoch stets denselben Einwurf zu tätigen: „Vielleicht haben sie es noch im Lager. Frag einen Mitarbeiter.“ Nun, ich weiß nicht, ob Sie das schon einmal versucht haben. Ich habe, und ich kann Ihnen sagen: Lassen Sie das.
Da die eigene Ehefrau jedoch zumeist über eine Blickvariante verfügt, die keinen Widerspruch zulässt, passiert es mir immer wieder, dass ich drei Gänge weiter auf einen verdutzt dreinblickenden Mitarbeiter treffe und ihn frage, wo ich mein Wunschprodukt finde. Unglücklicherweise fragt dieser dann gerne zurück: „Haben Sie schon im entsprechenden Gang nachgesehen?“
„Oh entschuldigen Sie, ich bin leider nicht sicher, welcher der passende Gang ist. Ich habe einfach dort nachgesehen, wo es immer steht.“
„In letzter Zeit hat sich da einiges geändert. Sehen Sie den Suppenaufsteller da hinten?“
„Ja.“
„Sehr gut, von dort aus gehen Sie links und nach dem Gang mit den Frühstücksprodukten nehmen Sie den dritten Gang rechts und dann gleich die erste Querabkürzung wieder links. Dann vorbei an den Waschmitteln und kurz vor den Tiefkühlregalen müsste es links oder rechts rein gehen. Ganz sicher aber auf der Seite mit den Mikrowellengerichten.“
Nach längerer Pause antworte ich: „Ähm vielleicht könnten Sie…“
„Ja gleich, ich muss nur noch rasch hier die 14.000 Konservendosen einräumen.“
„Selbstverständlich. Und bitte nur wenn es keine Umstände macht.“
Danach werde ich dann an den Ort geführt, den ich zuvor als den Ort „wo es immer steht“ beschrieben habe. Dort beginnt seitens des Mitarbeiters eine fieberhafte Suche nach dem Produkt meiner Wahl. Diese endet normalerweise mit „Nein, das ist aus.“
„Das habe ich befürchtet. Aber haben Sie vielleicht noch was davon im…“
„Lager? Nein, nur was Sie hier sehen.“
Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zur klassischen Pein, die mir in Bekleidungsgeschäften widerfährt. Kaum habe ich ein Geschäft betreten und vertiefe mich gemütlich in die Begutachtung der einzelnen Stücke, schrecke ich wegen der schrillen Stimme hinter mir auf: „Kann ich Ihnen helfen?“
„Danke, das ist nett, aber ich schaue mich erstmal um.“
„Gerne.“
Dann freue ich mich, noch einmal davon gekommen zu sein, und setze meinen Einkauf fort. Kurz darauf geschieht die Katastrophe. Ich ziehe ein Hemd heraus, das mir gefällt.
„Hervorragende Wahl. Das passt gut zu Ihnen. Aber leider passt es Ihnen nicht. Das ist viel zu eng für Sie.“
„Das denke ich eigentlich nicht. Wissen Sie, ich habe Kragenweite 39.“
„Ha, unmöglich. Da brauchen wir mindestens ein 41er.“
„Ich trage seit Jahren 39.“
„Vielleicht vor dem letzten Winter. Aber jetzt sieht man Ihnen den Gourmet ein wenig an.“
„Na hören Sie mal…“
„Das macht doch nichts. Geht uns allen so. Am besten, wir messen die Kragenweite gleich mal nach.“
Ab da bleibt dann weder Zeit noch Luft für weitere Widerworte. Die Verkäuferin stürzt auf mich zu und versucht mich unversehens mit einem Maßband zu strangulieren. Ich japse nach Luft und laufe blau an, während sie heiter ein „Merkwürdig, jetzt messe ich hier 37. Ha na da sind wir ja beide schön danebengelegen“, von sich gibt. Leise versuche ich ihr zuzuröcheln, dass ich es für gewöhnlich schätze, wenn meine Hemden im Zweitjob nicht als Henker arbeiten, doch bleibt dies ungehört.
„Gehen Sie gleich da vorne in die Kabine und probieren Sie es mal an.“
„Könnte ich es bitte auch noch etwas größer mitbekommen?“
„Nicht nötig, wir haben ja gemessen, und außerdem sehe ich sowas mit freiem Auge.“
Daraufhin werde ich in die Kabine geschoben und lasse mich, nachdem der Vorhang zugezogen wurde, zunächst auf den Sessel fallen, um meine Lungen wieder mit Sauerstoff zu füllen. Dann reicht die Zeit gerade noch dafür aus, mein eigenes Hemd auszuziehen. Ist das geschafft, reißt die Verkäuferin auch schon den Vorhang auf und fragt mich unter den argwöhnischen Blicken sämtlicher anderer Kunden: „Und? Passt es?“
„Noch einen ganz kleinen Moment vielleicht.“
Schließlich trete ich dann verlegen mit dem viel zu engen Hemd aus der Kabine und fühle mich als das, was ich bin: Eine arme Wurst.
„Sehen Sie, passt Ihnen ganz hervorragend. Die Ärmel sind eventuell ein wenig kurz. Aber andererseits trägt man das heute so.“
Ich würde gerne etwas sagen, aber wieder fehlt mir die Luft dazu. Zumindest bis sich mein Körper wieder das nötige Volumen verschafft, was zur Folge hat, dass ein oder mehr Hemdknöpfe abspringen.
„Oje, Sie haben ja beim Anprobieren Knöpfe abgerissen. Tut mir leid, aber das Hemd müssen Sie jetzt auf jeden Fall kaufen.“
Erschöpft bringe ich an guten Tagen noch ein „Ja natürlich, aber packen Sie es mir auch in 39 ein. Mein Bruder ist etwas größer und stämmiger als ich.“, hervor.
Erlebnisse wie diese haben mich schließlich in die weit offenen Arme des Onlineshoppings getrieben. So lebt jeder in seinem eigenen Exil, aber St. Helena ist ja auch ganz schön.
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Hallo Maximus!
Ich kann deine Aversion gegen Verkäufer verstehen.
Im Baumarkt hat man es als Frau allerdings dann doch leichter einen Verkäufer zu finden. Einfach mit den Augen klimpern und man hat so einen netten Herren gefunden der einem sämtliche Heimwerkerwünsche erfüllt. Die Männerwelt denkt doch tatsächlich wir wären ganz besonders hilfsbedürftige Wesen die nicht wissen wie man mit einer Säge oder einem Bohrer umgeht und versucht uns allerhand nötiges und unnötiges aufzuschwatzen.
Da ist es dann halt auch logisch, dass die Frau Verkäuferin bei dem männlichen Einkaufspublikum die Unwissenheit ausnützt und die Herrn (die oft nicht mal ihre eigene Unterhosengröße wissen) bei den Hemden quält.
Ein bisschen Ärgerniss macht den Shoppingwahnsinn doch zu einem Abenteuer 🙂
Nun, da ich als ebenfalls stämmiger mich angesprochen fühle, darf auch ich hier einige Worte sagen.
„Ich lach mich schief!“ Ja, ja, ganz recht, früher, als ich noch ein hageres Vorzeichen meines heutige Selbst war, ist es mir auch so gegangen. Ich hatte eine Figur, da wurde man noch vom geschulten Personal angesprochen. Und hatte man nur einmal freundlich zurück genickt, ja, da ging es los, da gab es kein Halten mehr, da wurden Hosen, Sakkos, Hemden, Träger, Socken und ähnliches aufgefahren, dass es eine rechte Freude war (für den Eigentümer zumindest). Man wurde als Kunde, der völlig unkundig war, geradezu mit dem Fachwissen und der aus sonstiger Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz des Verkäufers resultierenden Wichtigtuerei überrannt, ja was sag ich, plattgewalzt!
Doch heute, dank der angesprochenen Stämmigkeit, ist es mir eine Freude durch den Ständerdschungel zu walzen. Da traut sich keiner mehr an mich ran. Da sehe ich ratlose Gesichter und lache mir ob meiner „Unbedienbarkeit“ ins voluminöse Fäustchen. Sollte ich Augenkontakt suchen, gibt es seitens des Personals bestimmt eine Ecke zu kehren, eine Kassa abzuschließen, ja im Notfall sogar ein Häufchen in den Personalräumen zu setzen.
Oder probieren Sie mal als baumstämmiges Wesen Ihre Stimme zu erheben und auf „Bedienung“ zu pochen. Ich denke, es muss in den diversen Läden geheime Notausgänge, versteckte Atombunker oder saugkraftstarke Wurmlöcher geben. Da ist keiner mehr da. Keiner. KEINER!!
Ja, ich verstehe schon, die haben für unsereins halt nix. Aber es ist ein Zeichen der Reife und emotionalen Stabilität, wenn man in der Lage ist, der eigenen Hilfslosigkeit ins Auge zu sehen. Aber nicht so die von Ihnen angesprochene Spezies. Eher Straußenvögel als Homo Sapiens Reflectus…
Die einzigen Menschen, die ich in solchen Tempeln des Kommerzes zu sehen bekomme, sind zumeist Sanitäter, Feuerwehrmänner oder Sprengmeister. Wieso? Lassen Sie mich erklären.
Oft ist es ja so eng in den Gängen, das meinereiner gar nicht durchkommt, und zwischen Damenjeans und Trägertops überwintern muss.
Kennen Sie, lieber Maximus, als Normalschlanker diese Drehsperren in Fußballstadien? So ist das für uns Stämmige bei H&M und Co. Einzig Fussl Modestraße kommt uns da entgegen, das sind eher Autobahnen zwischen den Götzenständern der Haute Couture, als Trampelpfade…
Und wenn ich da so dahänge, aufgespießt und gequetscht, die Uhr jenseits der 22:00 anzeigt, entschließen sich auch die härtesten Herrenmodenfachverkäufer ihre Menschlichkeit durchbrechen zu lassen, aus ihren Verstecken zu kriechen und die Kavalerie zu rufen. Ich denke ja, sie tun das eher um selbst nachhause zu kommen, aber hey, ich will ja positiv bleiben und an das Gute im Modeeinzelhandel glauben…
So kommt dann also je nach Schwierigkeit der Bergung der Schlosser, der Feuerwehrmann mit der Flex oder gleich Explosive-Man.
Nachdem ich meine Wunden dann geleckt habe freue ich mich, dass Chaos und die Zerstörung zu bewundern, die meine Stämmigkeit über diese spezifische Lebensform und ihr so lebensfeindliches Habitat gebracht hat…
Nun – mein GöGa und ich waren die Tage im Vorzeigebaumarkt des schwäbischen Unterlandes. Wir brauchten Gips und Gewebe um einer altersschwachen Wand zu neuem Halt zu verhelfen. Das fragliche Operationsfeld beschränkte sich auf die Fläche von ca. 30x40cm. Und da man nunmal schneller ist wenn man sich aufteilt und ausschwärmt wurde ich zum Gewebe geschickt und der GöGa besorgte den Gips (und Tapeten und Kleister). Zuerst erklärt mir der Verkäufer, dass man auf Rigips kein Gewebe aufziehen bräuchte um Riße in der Mauer zu schließen (? was für Riße ? Bei uns kommt uns die Wand an der Stelle komplett entgegen – immerhin ist das Haus rund 100 Jahre alt!). Daraufhin erkläre ich ihm erneut und sehr geduldig (und Geduld ist nun wirklich nicht meine Stärke!), dass wir kein Rigips als Untergrund haben und es sich auch nicht um Spannungsriße handelt und ich einfach gerne ein Gewebe hätte. Leicht pikiert weil doch tatsächlich eine Frau ihm sein Handwerk erklären will (obwohl ich im nachhinein glaube das der Verkäufer gelernter Bäcker ist) führt er mich zu den diversen Geweben. Die Rolle für den Innnenraum (35 Meter lang!) kostet 40,– €. Ich brauch ja aber nur maximal 1qm. Daneben liegt eine angebrochene Rolle. Auf mein Fragen, ob er mir davon ein Stück verkaufen kann gibt es natürlich ein harsches Nein. Aber offensichtlich haben das ja andere auch schon getan, sonst wäre die Rolle ja nicht angefangen. Und so ist sie ja auch nicht mehr zu verkaufen. Nach weitern rund 7 Minuten Diskussion reißt mir der Geduldsfaden. Ich packe meinen Umgangston aus den sonst nur ganz böse Querulanten im Amt abbekommen und siehe da: ich bekomme 1qm Gewebe zum stolzen Preis von 3,– €.
Geht doch.
[…] Durch diese transzendente Erfahrung wurde mir klar, dass mich mehrwöchige Reha-Aufenthalte nach jedem Training doch eher zurückwerfen würden, weshalb ich beschloss, die körperliche Fitness vorerst zurück zu stellen. Was nun noch übrig blieb war, mich, auf für Männer „legale“ Art, um das Aussehen meines Körpers zu kümmern. Ganz oben auf der Liste stand somit das Einkleiden mit Designermode. Im Prinzip ein guter Ansatz, hätte ich nicht das Problem, dass Verkäufer so gar nicht meine Kragenweite sind. Aber das ist eine andere Geschichte (Verkäufer sind nicht meine Kragenweite). […]